"Wie ist Europa? - Schön, ja?"
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Die Gründung einer europäischen Wirtschaftsunion (Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, 1951) nach dem Ende des II. Weltkrieges beruhte auf einer in der Geschichte dieses Kontinents bedeutenden Entscheidung, selbst bestimmt und mit einem tragfähigen Konsens, politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Erneuerungen, unter maximaler Beibehaltung nationalstaatlicher Unabhängigkeit, zum Nutzen aller umzusetzen. War und ist Europa nun schön? Im Zuge des fortschreitenden europäischen Integrationsprozesses offenbarten sich bereits in den Anfangsjahren ernsthafte Diskrepanzen, die ihre Ursachen in Fragen der nationalen Souveränität, der Identifikation, der liberalen Ausrichtung des europäischen Binnenmarktes und den gegensätzlichen Vorstellungen über soziale und gesellschaftliche Belange einzelner Länder hatten. Besonders prägnant lassen sich diese Problemfelder am Beispiel Frankreichs, als einem der anerkannten "Motoren" des europäischen Einigungsprozesses, nachvollziehen. Das Leitbild der "grandeur" und ein bis in die Gegenwart etatistisch geprägtes Wirtschaftsmodell müssen zwangsläufig zu Interessenskonflikten bei der Vereinheitlichung politischer und wirtschaftlicher Maßnahmen auf europäischer Ebene führen.
Die positiven und negativen Aspekte des europäischen Integrationsprozesses und seine wirtschaftlichen Konsequenzen prägten und prägen die Debatten französischer Intellektueller traditionsgemäß als Projektionsfläche gesellschaftlicher, kultureller und sozialer Wertvorstellungen aus französischer Sicht. Die in dieser Arbeit untersuchten Intellektuellenzeitschriften Commentaire, Esprit, Le Débat und Les Temps Modernes stehen für sich als intellektuelle Entität, fungieren als Metaebene intellektueller Diskurse und Referenzpunkt, zeichnen sich durch einen hohen Bekanntheitsgrad, einen interdisziplinären Ansatz und ein breites Spektrum an Autoren, die in ihrer Gesamtheit Repräsentanten unterschiedlichster Strömungen, Gruppierungen und Ideenkonzeptionen sind, aus. Für die Zeitschriften ist die Auseinandersetzung mit Europa Bestandteil ihres Selbstverständnisses als Aufklärungs- und Mittlerinstanz. Die kulturwissenschaftliche Arbeit bildet interdisziplinäre Schnittstellen mit dem politikwissenschaftlichen, ökonomischen, historischen, soziologischen und philosophischen Feld. Der interkulturelle Charakter der Arbeit zeigt sich anhand der Spezifik der untersuchten Zeitschriften innerhalb der französischen Medienlandschaft, des spezifisch französischen Verständnisses der Intellektuellenfigur, der wissenschaftlichen Verortung der Autoren und der spezifisch französischen Perspektive auf den Integrationsprozess. Ein Beispiel dafür ist die Thematik der Fremdwahrnehmung. Dabei rücken u.a. die Darstellung Deutschlands im Zuge des europäischen Integrationsprozesses oder die durchaus divergierenden Amerikabilder französischer Provenienz innerhalb des Europa- und Globalisierungsdiskurses in den Vordergrund.
Der Untersuchungszeitraum 1992-2010 ist durch politische, soziale, wirtschaftliche und sich rasant wandelnde Rahmenbedingungen geprägt, vor allem auch durch eine dichte Folge von europäischen Verträgen und Beschlüssen, die direkt auf den nationalen Raum wirken. Die 2007 einsetzende Wirtschafts-und Finanzkrise trägt globalen Charakter und die Arbeit analysiert, inwiefern und in welcher Intensität sie als diskursives Ereignis in die Intellektuellenzeitschriften eingeht. Die für den Untersuchungsgegenstand wesentlichen theoretischen Bausteine stützen sich auf die Arbeiten von Michel Foucault. Er propagiert eine offene Methode, die besonderes Augenmerk auf die Prozesshaftigkeit von Geschichte legt und sich für den empirischen Charakters der Arbeit als schlüssig erweist. Diskurse sind, nach M. Foucault, wirkmächtig und wirklichkeitskonstitutiv. Mit Blick auf den Untersuchungsgegenstand schließt das solche Aspekte wie Denk- und Ideenkonzeptionen, die Repräsentation einer kollektiven bzw. individuellen Perspektive, sprachlich formulierte Denotationen und Konnotationen und die Darstellung von Machtverhältnissen im Zuge des Integrationsprozesses ein. Die an Michel Foucault orientierte kritische Diskursanalyse von Siegfried Jäger dient der Systematisierung intellektueller Diskurse.
Die vorliegende Arbeit zeichnet sich von anderen Arbeiten und Abhandlungen dadurch aus, indem sie auf der Grundlage einer interkulturellen Analyse und Herangehensweise, dem kritisierten Mangel an politökonomischer Perspektive begegnet und die ökonomische Dimension der Integration anhand intellektueller Diskurse herausarbeitet. Die Intellektuellenzeitschriften problematisieren wirtschaftspolitische Gegebenheiten aus wirtschaftshistorischer, kultureller, philosophischer, soziologischer und denkparadigmatischer Perspektive, brechen mit einer rationalen, rein auf empirisch bzw. mathematisch basierenden und an Modellen orientierten Analyse ökonomischer Evolutionen sowie intra-europäischer Diversitäten. Die Arbeit kann mit ihrem umfangreichen Korpus und auf Grund des zeitlichen Umfangs einen gesicherten Einblick in die Komplexität des Gegenstandes geben, Problemfelder benennen, thematische Schwerpunkte und Themenfelder herausarbeiten, Trends, Entwicklungen aufzeigen und hermeneutische Ansätze sowie Perspektiven formulieren. Die Arbeit versteht sich als Ausgangspunkt für eine interkulturell ausgerichtete Neuorientierung des intellektuellen Diskurses zur europäischen Integration. Das betrifft ebenso die Darstellung der Transformationen innerhalb des intellektuellen Milieus und der am intellektuellen Diskurs Beteiligten.
Folgt in ca. 2-3 Arbeitstagen