Westfälische Forschungen, Band 72-2022
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Zwei Aspekte staatlicher Expansion sind in den letzten Jahren als zentrale Merkmale des 19. Jahrhunderts herausgestellt worden: einerseits die Durchstaatlichung verschiedener gesellschaftlicher Sektoren, andererseits das Vorrücken des Staates auch in periphere Gebiete, also das Durchdringen des gesamten Territoriums mit staatlichen Gestaltungsansprüchen. Entgegen älterer Ansätze, welche die schrittweise und erfolgreiche Etablierung des modernen (National-)Staats mit seinem fest umrissenen Territorium, einer definierten Bevölkerung sowie einem durch einen Verwaltungsapparat verbürgten Gewaltmonopol eher voraussetzten als analysierten, gehen die neueren, oftmals praxisorientierten Untersuchungen von einem stark fragmentierten und diskontinuierlichen Expansionsprozess aus, der dennoch maßgebliche Auswirkungen auf gesellschaftliche Strukturen, Verwaltungspraktiken und Kommunikationsprozesse hatte. Staatlichkeit im 20. Jahrhundert wird demgegenüber noch immer stärker von der Makroebene her gedacht. Das trifft auch auf die regionalgeschichtliche Forschung zu, die zwar neue Ansätze erprobt, aber weiterhin häufig nach der Repräsentation des Großen im Kleinen sucht, statt die lokalen und regionalen Praktiken in den Mittelpunkt zu rücken.In Band 72 der "Westfälischen Forschungen" werden die Perspektiven auf das 19. und 20. Jahrhundert für eine zeitgemäße Geschichte des Regierens in der Region zusammengeführt. Der Band beschäftigt sich mit bestimmten Verwaltungspraktiken im Alltag und in besonderen Umbruchsituationen, die zu einer Transformation des Regierens beitrugen. Klassische Felder der Verwaltungsgeschichte werden dabei ebenso berührt wie die Geschichte von Struktur-, Presse- und Bildungspolitik, Protestgeschehen oder des Wandels von Partizipationsformen. Weitere Beiträge behandeln Überlieferungsfragen zur Geschichte der Stadt Schwerte im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, die Reisen und die Biographie des Afrikaforschers Ferdinand Werne, die südwestfälische Kettenproduktion und ihren spezifischen Entwicklungspfad in der Industrialisierung, die Landtagswahlen im Raum Herne vor dem Ersten Weltkrieg sowie den Einsatz für die Finanzierung von Einrichtungen für Opfer sexualisierter Gewalt in den 1980er und 1990er Jahren und für Bleiberechte von Roma in Münster um 2010. Forschungsberichte, Zeitschriftenschau und Buchbesprechungen runden den Jahresband 2022 ab.
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