Wanderungen eines Ortes
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Orte und Räume gelten allgemein als das statisch-immobile Gegenüber zur dynamischen Zeit. Magdalena Saiger präsentiert dagegen die Kernthese von ihrer grundsätzlichen Beweglichkeit. Sie wird anhand der wechselnden Verortungen der Alten Messe im Zentrum der serbischen Hauptstadt Belgrad verdeutlicht. Als historische Fallstudie greift das Buch auf Ansätze der Raumsoziologie und einer raumkritisch ausgerichteten Geografie zurück. Magdalena Saiger führt überdies Denkanstöße der Visual Culture Studies, der Anthropologie und der Memory Studies weiter. Das Ergebnis ist ein neuartiger Beitrag zu einer verräumlichten Geschichtsschreibung: Das Aufzeigen der Gleichzeitigkeit der im Raum präsenten Spuren macht die "Augenarbeit" (Karl Schlögel) als Erkenntnisquelle in der Tradition Walter Benjamins produktiv und wertvoll. Auf breite Quellen gestützt offenbart das Buch, in welche machtpolitischen, symbolischen, lebensweltlichen und baulichen Koordinaten die Belgrader Alte Messe zu verschiedenen Zeiten eingebunden ist. Im Kaleidoskop der vielfältigen und scheinbar unvereinbaren Nutzungsphasen und -arten formt sich das Bild der "Wanderungen" dieses bis heute umstrittenen Ortes. Vor dem Zweiten Weltkrieg sollte er als Messegelände und Modernisierungsmotor die Nähe Jugoslawiens und seiner Hauptstadt zum industrialisierten Kerneuropa demonstrieren, bald darauf aber als deutsches Konzentrationslager mit den Knotenpunkten des nationalsozialistischen Lagernetzes verknüpft werden. Nach Kriegsende fächert sich das Nutzungsspektrum weit auf. Von einer Künstlerkolonie und teils prekärem Wohnraum reicht es bis zu diversem Kleingewerbe. Verfall, Überwucherung und Vergessen lassen das Gelände vor aller Augen fast unsichtbar werden. Und doch ist die Debatte über ein Gedenken an die hier begangenen Verbrechen nie ganz abgerissen. Für die aktuelle Verortung ist von drängender Relevanz, welche Rolle die Europäische Union als "Gedenkreferenz" gegenüber den Beitrittsaspiranten auf dem Balkan spielte und spielen kann. Magdalena Saiger studierte Germanistik und Geschichte in Berlin und Madrid und promovierte mit der vorliegenden Arbeit im Mai 2021 an der Universität Hamburg. Die Autorin ist auch als Pädagogin und Schriftstellerin tätig. 2023 erschien ihr Roman "Was ihr nicht seht oder Die absolute Nutzlosigkeit des Mondes" in der Edition Nautilus - ebenfalls ein Text über einen ins Vergessen geratenen Nicht-Ort, hier mit literarischen Mitteln.
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