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Ovids 'Epistulae ex Ponto'

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Genährt von der "Ovidindustrie" der letzten Jahrzehnte, erfahren die Epistulae ex Ponto auch eine gewisse Renaissance, wodurch die literarischen Qualitäten der Sammlung neu entdeckt werden. Dabei stellt sich heraus, daß Ovids Gedichte aus der Verbannung gar nicht so monoton sind, wie ursprünglich angenommen. In die neue Situation der Verbannung werden alte Themen der Liebeselegie aufgenommen und verarbeitet. Der bekannte ovidische Esprit fehlt bei genauerem Hinsehen keineswegs und auch andere "Defekte" führen die Entwicklung von Ovids bedeutendster Schaffensperiode fort. Kurzum, dieser Kommentar erschließt die Exildichtung weniger als Wetteralmanach der Schwarzmeerküste denn als die erste, dichterisch geformte und stilisierte Erfahrung des Exils. Rezension: Gaertner, Jan Felix (Hrsg.): Ovid, Epistulae ex Ponto, Book I. Edited with introduction, translation, and commentary (= Oxford classical monographs). Oxford: Oxford University Press 2005. ISBN 0-19-927721-4, XV, 606 S., £ 90, 00. Helzle, Martin: Ovids Epistulae ex Ponto. Buch I-II. Kommentar (= Wissenschaftliche Kommentare zu griechischen und lateinischen Schriftstellern). Heidelberg: Universitätsverlag Winter Heidelberg 2003. ISBN 3-8253-1429-4, 424 S., 64, 00. Rezensiert für H-Soz-u-Kult von: Peter Habermehl, Die griechischen christlichen Schriftsteller, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften E-Mail: Im Mittelalter las man sie gerne (das legt schon die Fülle erhaltener Handschriften nahe), in der Neuzeit hingegen stand Ovids Exildichtung meist im Schatten seiner exaltierten römischen Werke. Die Tristien erfreuten sich immerhin noch eines gewissen Zuspruchs, drastisch fielen indessen nicht selten die Urteile über die späten Epistulae ex Ponto aus. Erst in den letzten Jahren änderte sich der Blick auf den melancholischen, nur scheinbar so monotonen Blues vom Schwarzen Meer. Nichts belegt die Renaissance zweier verschollener Klassiker besser als der Umstand, dass binnen zweier Jahre das erste Buch der Epistulae ex Ponto, in einem Fall sogar Buch eins und zwei, zu zwei gewichtigen Kommentaren inspiriert haben, die Nasos geistreichen Kabinettsstücken rundum gerecht werden. Beide Bücher stam¬men aus deutscher Feder - wobei der inzwischen in Leipzig tätige J. F. Gaertner seine erweiterte Oxforder Dissertation auf englisch publiziert hat, während M. Helzle (der im Übrigen bereits 1989 mit einem Teilkommentar zu Pont. IV debütierte), seit geraumer Zeit Professor an der Case Western Reserve University in Cleveland/Ohio, der Muttersprache treu bleibt. Die beiden (in etwa gleich langen) Einleitungen erteilen mit jeweils eigenen Akzenten Auskunft zu Autor und Werk. Helzle reflektiert bodenständig über die Aufgaben des Kommentators, mit kritischen (und vielleicht mit Bedacht auf Deutsch publizierten) Fußnoten zu aktuellen philologischen 'Moden' wie Intertextualität, Polysemie und der verbreiteten Lesart augusteischer Dichtung als 'poetischer Reflexion' (mit anderen Worten: als 'Dichtung über Dichtung'). Engagiert arbeitet er die literarischen Qualitäten des Ovidischen Spätwerks heraus, das auf Schritt und Tritt "Neues, Unerwartetes, Überraschendes" biete (S. 19), beispielsweise in der Transformation der Briefform, in der 'Ent-Erotisierung' von Motiven, die dem Leser aus den Amores und der Ars vertraut sind (so wird etwa aus dem Liebeskummer das symptomatisch eng verwandte Leiden am Exil), in dem vielschichtigen Porträt von Ovids Frau, in den launigen Scherzen und Wortwitzen, die der augusteische Dichter immer noch wagt und die selbst vor Augustus nicht haltmachen. Vor allem aber würdigt Helzle die Rolle der Tristien und der Epistulae ex Ponto als Exilliteratur, die, auch wenn sie auf diverse Vorbilder (so etwa Odyssee und Aeneis, aber auch die Skythen-Exkurse von Herodot bis Vergil) zurückgreife, zum ersten Mal die "Erfahrung des Exils" dichterisch ausforme und stilisiere (S. 15). Überzeugend ist seine Deutung des literarischen Bildes von Tomis als negativer Folie der von den Augusteern vielgerühmten italischen Heimat. Auch auf historische Fragen rund um Ovids Exil geht Helzle ein (attraktiv die These, hinter dem treu- und namenlosen Freund von Trist. I 8 u.ö. verberge sich Ovids früherer Dichterkollege Sabinus). Ausführlicher widmet Gaertner sich dem Themenkreis Geschichte, namentlich der Autokratie des Augustus und der Verbannung des Dichters. Selten wurden die geographischen, klimatischen, botanischen, historischen Daten zu Tomis so konzise zusammengetragen und mit dem Porträt der Stadt und ihres Umlandes in den Tristien und den Epistulae ex Ponto abgeglichen. Gaertners pointierte Schlußfolgerung: Ovids Bild der westlichen Schwarzmeerküste sei erstaunlich zuverlässig, punktuelle Überzeichnungen waren für das hauptstädtische Publikum leicht erkennbar und steigerten die dramatische Qualität der exotischen Kulisse. Gaertner gibt auch einen willkommenen Abriß zu Stil und Metrik der Epistulae ex Ponto und zum symmetrischen Arrangement der Gedichte in Buch I-III (zur "Anordnung der Sammlung" und zur inneren Struktur der Epistulae ex Ponto macht sich auch Helzle Gedanken). Wie eine Illustration zu Helzles Kritik am philologischen Zeitgeist liest sich Gaertners überzogene Hauptthese, die Briefe seien durch und durch "works of fiction" (S. 6), die sich im Gewand des 'Pseudo-Autobiographischen' nur 'im Spiel' an historische Personen wendeten - um Authentizität vorzugaukeln, Emotionen zu schüren und die voyeuristischen Instinkte der Leser wachzukitzeln, die angeregt über die potentiellen Reaktionen der Adressaten phantasierten (der Weg ist nicht allzu weit zu einer These, die vor einer Weile Furore machte: hinter Ovids vorgeblicher Relegation stecke nichts als eine literarische Grille, Tristien wie Epistulae ex Ponto seien vom ersten bis zum letzten Distichon in Rom entstanden). Auf einen eigenen kritischen Text verzichtet Helzle "aus Zeit- und Platzgründen" (S. 11). Das läßt sich vertreten, denn Richmonds verläßliche Teubneriana dürften die meisten zur Hand haben. Dafür hat er (wie im Übrigen auch Gaertner) mit den beiden Münchner Vetustiores zwei maßgebliche und außerordentlich schwer zu lesende Textzeugen im Original kollationiert. Dass Gaertner einen an Richmond angelehnten Text samt kritischem Apparat und Übersetzung druckt, wird ihm gewiß niemand verargen - noch weniger die insgesamt sieben reichen Appendizes und Indizes, die den Band geradezu verschwenderisch erschließen. Um einen flüchtigen Eindruck von der Qualität der beiden Kommentare zu vermitteln, seien im Folgenden kurz die Seiten zu Pont. I 4 verglichen, Ovids rührenden Versen an die ferne Gattin. In einer längeren Vorbemerkung analysiert Helzle den Bau des Briefes und geht vor allem auf die Rolle der epischen Vergleiche mit Jason und Odysseus ein, zudem informiert er nicht ohne manche Spekulation über Ovids drei Ehen, insbesondere die langjährige letzte. Eigenen exegetischen Bemühungen des Lesers ist der Weg bestens geebnet. Der eigentliche Kommentar bietet trotz mancher Fragezeichen (läßt das anaphorische iam V 1-2 den Leser wirklich "ein Frühlingsgedicht erwarten"?, S. 142) eine Vielzahl feiner Beobachtungen. Schön der Brückenschlag V 1 von deterior zu Ovids Zeitalterlehre, sinnvoll die Exkurse V 14 zu den Verba incohativa und V 18 zum Kakemphaton, wichtig die Hinweise auf die (in antiken Augen) etymologische Beziehung zwischen iuvenis und iuvare (V 4), auf iuvenis in der Bedeutung 'junge Frau' (V 47) oder auf die quasi präpositionale Verwendung von fine (V 28), hilfreich die Beobachtungen zur Metaphorik von lignum und zur Antithese fragili ligno - sacra carina (V 35) oder zu den Konnotationen des Schlußdistichons (V 57-58). Gaertner, der dem Brief den doppelten Raum widmet (gute 30 gegenüber 15 Seiten bei Helzle), bleibt im Vorspann überraschend wortkarg, knapp präsentiert er die Gliederung des Briefes und notiert einige tragende Motive. Umso ausführlicher der Zeilenkommentar (der gute Einfälle Helzles ab und an verbatim zitiert). Einige Stichworte: Vorzüglich die Liste griechischer Vorbilder zu der dreifachen Anapher am Zeilenanfang V 1-3, aufschlußreich die wissenschaftlichen Konnotationen des Verbs aspergere (V 1) und der juristisch-kultische Kontext von tutari (V 39), elegant die Beobachtungen zu der Enallage fortia corpora (V 12), zu dem satten Pleonasmus V 13 oder zu der Ringkomposition zwischen Anfang und Ende des Gedichts (S. 298f.), hintergründig die Betrachtung zu Amor als Leser der Ars (und damit als Schüler Ovids, V 42). Gaertners Zurückweisung von Heinsius' Athetese des Distichons V 31-32 leuchtet ein, gut argumentiert, wenn m.E. auch nicht zwingend ist seine Annahme, V 15-18 seien interpoliert. Nur in einer Hinsicht tut Gaertner des Guten zuviel: in seinen mitunter exzessiven Statistiken zum Gebrauch diverser Wörter und Wendungen in der lateinischen Literatur (z.B. zu si modo V 26 oder zu carina V 36). Hier wäre weniger mehr gewesen. Wie schon die lapidaren Hinweise verraten, bieten beide Kommentare Philologie von verläßlicher bis vorzüglicher Qualität. Mitunter überschneiden sie sich, in der Regel jedoch ergänzen und komplementieren sie sich aufs Angenehmste. Gut beraten der Philologe, der beide heranzieht (oder sich gar ins Regal stellt) und mit ihrer Hilfe einen lange unterschätzten Klassiker neu lesen lernt. Diese Rezension wurde redaktionell betreut von: Udo Hartmann URL zur Zitation dieses Beitrages
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