Möglichkeitsräume
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Die 1950er und 60er Jahre markieren eine Zäsur in der Struktur und der Erfahrung des Alltagslebens, die maßgeblich mit der Autonomisierung und Industrialisierung des Freizeitbereichs zusammenhängt und die von einem Boom v.a. marxistischer Theorien der Alltagskultur begleitet wird. Vor diesem Hintergrund werden die Filme der Nouvelle Vague als künstlerische Zeit-Dokumente gelesen, in denen das Alltagsleben in der Spätmoderne aber weniger abgebildet, denn in verdichteter Form inszeniert wird. Die Angebote einer - damals neuen - Freizeitindustrie werden in diesen Alltagsgeschichten zwar ausgestellt, aber unterlaufen. Ihre Protagonisten privilegieren und kultivieren stattdessen unspektakuläre Strategien des Zauderns, des Aufschubs, und sie weigern sich konsequent, Entscheidungen zu treffen. Der sich damit eröffnende virtuelle Möglichkeitsraum wird in filmästhetisch radikal neue Bilder über¬setzt. Die kinematographischen Inszenierungsweisen des französischen Autorenkinos orientieren sich dabei nicht zufällig an literarischen Taktiken der Zeitdehnung und der Verzögerung, wie sie der Roman der klassischen Moderne entwirft. Und wie dieser erfassen die vier in diesem Band als Zeit-Filme behandelten Beispiele von Jacques Rozier, Claude Chabrol, Guy Gilles und Agnès Varda eine scheinbar ereignislose, unendliche Gegenwart, deren Erzählung schließlich selbst ereignishaft wird.
Kerstin Küchler ist wissenschaftliche Mitarbeiterin für französische Literatur- und Kulturwissenschaft am Institut für Romanistik der Universität Leipzig.
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