Mezzotinto ein Prager Schibboleth
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Oskar und Jiri streiten sich über ihren Beruf als Künstler: was ist wichtiger Bild oder Text? Dem Maler liegt das Bild, dem Schriftsteller das Wort näher. Doch in den Künsten kommt das Eine nicht ohne das Andere aus, denn Bild und Text brauchen einander. Und so verhält es sich auch bei den beiden befreundeten Schlaraffen Oskar und Jiri. Der eine ist ein ausgesprochener Wortmensch, der andere ein fanatischer Bildmensch. Auch wenn sich beide Prager sehr nahestehen, so hält jeder seine Ausdrucksform insgeheim oder sogar offen für die wichtigere. Am Ufer der Moldau in Prag sitzend tauschen die Prager Freunde kontroverse Meinungen aus. Maler oder Schriftsteller? Jeder Künstler argumentiert für die Kunstgattung, die er für die wichtigere hält: seine eigene. Die beiden Romanfiguren lehnen sich an zwei historische Vorbilder an: den Prager Schriftsteller Oskar Wiener (Rt Potz von Traun) und den Kunstmaler Jiri Jilovsky (Rt Mezzotinto, der Geschabte). Beide sind Juden, die nicht wissen, welcher gesellschaftlichen Gruppierung sie angehören. So wie die große jüdische Bevölkerung Prags sitzen auch die Künstler zwischen allen gesellschaftlichen Gruppen. Obgleich bilingual, werden sie von keiner Seite akzeptiert. Für die Tschechen handelt es sich bei Jiri und Oskar um Deutsche, für die Deutschsprachigen sind es Tschechen. Dabei sind sie eigentlich alle Prager. Eine künstlerische Gruppierung gewährt allerdings den Hin- und Hergerissenen eine geistige Heimat: der Prager Freundschaftsbund Schlaraffia, der seine Mitglieder nicht nach Herkunft, Religion oder beruflichem Status auswählt. Da beide Freunde deutsch sprechen und diese Sprache wegen ihrer Ausdruckskraft verehren, rechnen sie sich der deutschen Nationalitäten-Gruppe zu. Der Leser weiß, was nur wenig später droht: Ausgrenzung, Verschleppung und schließlich die Shoa. Das Prager Deutsch ist in der Moldaustadt immer noch lingua franca. Doch so frei ist die Sprache nicht, denn seit jeher trägt jedes Wort eine geheime Botschaft ¿ ist ein Schibboleth. In welcher nationalen Sprache ein Wort gewählt, sodann mit welcher Aussprache, in welchem Dialekt, ja sogar mit welchem Akzent, darüber entscheidet nicht das Individuum, sondern die Nation oder die Sprachkultur, in die das Individuum hineingeboren wird. Umgekehrt genügt die Aussprache eines einzelnen Wortes und schon wird der Sprechende einer Nation, einer Gruppierung zugeordnet, ob er will oder nicht. Das gilt besonders in der weltanschaulich aufgeheizten Situation in Prag im Jahre 1931. In den Dialogen führen die beiden Künstler ihre Werke als Argumente an. Auf diese Weise erinnert der Roman an die Gemälde, Radierungen, Gedichte und Bücher der beiden Künstler. Mezzotinto ¿ ein Prager Schibboleth ist eine Annäherung an die Prager Kunst.
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