'Literatur', nach einem Genozid
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Das vorliegende Bändchen ist ein Zwischenergebnis. Es umfasst sechs Aufsätze, in teilweise stark umgearbeiteter Form, die das Buch Ruanda. Über einen Genozid schreiben von 2005 in unterschiedliche Richtungen fort-, dessen Kenntnis aber nicht voraussetzen. Wenn es sich bei all diesen Beiträgen ursprünglich um Auftragsarbeiten handelte, so stellten doch nicht alle Auftraggeber bereits ihrerseits das 'Thema' dieses Genozids, des organisierten Mordes an ungefähr einer Million Menschen in einem kleinen zentralafrikanischen Land während dreier Monate des Jahres 1994. Nur bei zwei Aufsätzen (dem auch an Historiker gerichteten Überblicksartikel "Augenzeugenschaft und Textgestalt" sowie dem Beitrag über deutschsprachige Texte und Filme von und mit Ruandern, "'Ein schönes Paradox'") war ich in meiner spezifischen Kompetenz als Kenner der über diesen Genozid geschriebenen Texte gefragt. Ein weiterer der vorliegenden Aufsätze ("Äußerungsdelikte") geht zwar darauf zurück, dass mir eine Expertise im Bereich der Genozidforschung zugetraut wurde, stößt aber in den mir wenig vertrauten Bereich juristischer Texte vor und handelt nicht in erster Linie vom spezifischen Genozid in Ruanda.
Zwei andere Beiträge sind in Kontexten entstanden, in denen nicht schon von vornherein an Genozide gedacht war, geschweige denn an diesen spezifischen: "Schriftliche Voraussetzungen der Identität" war in seiner ursprünglichen englischen Version ein Beitrag zu einem Workshop über "Identity and Community: Constructions, Deconstructions, Reconstructions" in London, Ontario, "Geschichte in Geschichten" entstand anlässlich einer Einladung zu einer Tagung über die "Epistemologie des Exemplarischen" in Hagen, Nordrhein-Westfalen. In diesen Fällen war ich also ganz allein dafür verantwortlich, dass ich im Rahmen der Themenstellung von Ruanda 1994 (wie der Genozid im Folgenden gelegentlich metonymisch abgekürzt wird) ausging.
Ein weiteres Kapitel dieses Bandes, dasjenige über Adalbert Stifter (zusammengeführt aus zwei Aufsätzen, die anlässlich von Tagungen zu "Framing Contingency" in Dubrovnik, Kroatien, sowie zu "Totalität und Zerfall im Kunstwerk der Moderne" in Fribourg, Schweiz, entstanden sind), handelt hingegen nicht von dem Genozid in Ruanda, nicht einmal von Ereignissen, die in dessen Vorgeschichte zu bringen wären. Aber Stifter stellte sich, so die These dieses Kapitels, um 1848 besonders kompromisslos einem Problem, das sich mir in der Beschäftigung mit Ruanda 1994 aufdrängte: Kann denn wirklich ein literarisches Einzelnes - ich schreibe bewusst nicht: 'Besonderes' - für ein Allgemeines stehen? Der Bericht von dem Mord an einem Einzelnen für den Massenmord an so vielen Mitgliedern einer Gruppe, dem dieser Einzelne zugerechnet wird? Kann mit dem Bericht vom Tod eines Einzelnen derjenige so vieler betrauert werden? Dieses Problem ist nicht neu, wird aber mit Vokabeln aus dem Bereich des 'Exemplarischen' meist stillschweigend umgangen oder in dialektisierenden Formulierungen allzu schnell für gelöst erklärt.
Folgt in ca. 2-3 Arbeitstagen