Intelligenz, künstlich und komplex
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Kein Bewusstsein weiß, wie ihm im eigenen Gehirn geschieht. Das Bewusstsein löscht, so brachte Niklas Luhmann das Rätsel auf den Punkt, Informationen über den Ort, an dem die Wahrnehmung tatsächlich stattfindet. Erst mit der Konkurrenz, die der menschlichen Intelligenz durch die künstliche erwächst, beginnt man, den Sachverhalt kognitiver Leistungen mit jenem kritischen Ernst zu erforschen, der für Kant so typisch war. War es zunächst die Kränkung, die dem menschlichen Geist zu widerfahren scheint, seit die maschinelle Intelligenz ihn in bestimmten Hinsichten zu übertreffen vermag, so ist man inzwischen so weit, die unterschiedliche Typik menschlicher und künstlicher Intelligenz in das Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken. Wenn menschliche und künstliche Intelligenz sich unterscheiden, kann man nach ihrer Differenz und nach der Einheit der Differenz fragen. Letzteres böte eine Möglichkeit, Intelligenz zu definieren.
Der Vergleich menschlicher mit künstlicher Intelligenz hat jedoch eine weitere Konsequenz. Je genauer man versteht, worum es sich bei künstlicher Intelligenz handelt und nicht handelt, desto unklarer wird der vermeintliche Gegenbegriff. Je mehr Leistungen von der künstlichen Intelligenz erbracht werden, desto nicht nur detaillierter wird der Blick auf die menschliche Intelligenz, sondern desto unklarer wird zugleich, wonach man fragt. Fragt man nach der Intelligenz des Gehirns, Muster zu erkennen und Voraussagen zu treffen? Fragt man nach der Intelligenz des Organismus, sich hochgradig irritabel dennoch in einem homöostatischen Gleichgewicht zu halten, also die Auseinandersetzung mit der äußeren Umwelt im Modus einer Auseinandersetzung mit der inneren, der eigenen Umwelt zu führen? Fragt man nach einer mentalen oder bewussten Intelligenz, die darin besteht, zögern zu können, Sinn offen halten zu können, überhaupt etwas nicht nur hinnehmen, sondern für sinnvoll oder sinnlos halten zu können? Fragt man nach der emotionalen Intelligenz der Bewertung eines Sachverhalts, die zwar nicht auf Erfahrung, aber auf Überprüfung und damit auf Misstrauen verzichtet oder umgekehrt es beim Misstrauen bewenden lässt? Oder fragt man nach einer sozialen Intelligenz, die darin besteht, mit der Freiheit des Gegenübers und dann auch mit der eigenen Freiheit kreativ und produktiv umgehen zu können? Worin besteht bei all diesen verschiedenen Typen von Intelligenz die Einheit einer »menschlichen« Intelligenz?
Dieses Buch plädiert dafür, nicht nur bis eins zu zählen. Kant setzte letztlich auf die Einheit der Vernunft, die sich selbst zu helfen scheint und das Ding an sich auf sich beruhen lässt. Die Neurowissenschaften versuchen, den Menschen aus dem Gehirn heraus zu erklären, die Psychologie verweist auf die Psyche, die Philosophie begnügt sich mit dem Bewusstsein und die Soziologie mit der Gesellschaft. Die Informatik hegt die mehr oder minder leise Hoffnung, demnächst jede kognitive Leistung operativ nachbauen zu können. Ich werbe dafür, es bei der Differenz der verschiedenen Typen von Intelligenz zu belassen und dafür zu nutzen, Kants transzendentales Verfahren durch das empirische Verfahren einer Beschreibung der Auseinandersetzung der verschiedenen Typen von Intelligenz miteinander zu ersetzen. Kein Bewusstsein ohne ein Gehirn, keine Gesellschaft ohne ein begleitendes Bewusstsein, kein Organismus ohne Emotionen, ohne dass das eine auf das andere reduziert werden können. Als Produkt einer in jeder Hinsicht bewundernswerten Koevolution setzen sich diese Träger einer je eigenen Intelligenz wechselseitig voraus.
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