Einiges zu Brecht
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Nachwort
Es ist sehr zu begrüßen, dass Karl Greisinger sich entschieden
hat, seine Brecht-Texte aus gut 25 Jahren gesammelt
zu veröffentlichen. Zu begrüßen aus mindestens
drei Gründen:
. Lehrer, die die Energie auf- und das Niveau mitbringen,
"nebenher" noch publikationsreif zu recherchieren,
sind leider selten,
. die Zahl Augsburger Brecht-Experten war immer beklagenswert
niedrig, trotz der vielen offenen Fragen, die
uns die Zeitzeug:innen hinterlassen haben, und
. die Zusammenstellung seiner Texte lässt eine besondere
thematische Schwerpunktbildung erkennen: die Region
um Augsburg herum (aber Augsburg schon auch).
Karl Greisinger, Jahrgang 1940, wurde nicht wie Brecht
mit Lechwasser getauft. Aber immerhin mit Donauwasser:
geboren in Höchstädt an der Donau, also bayerischer
Schwabe. Er ist kein klassischer Literaturwissenschaftler,
war Realschullehrer für Deutsch und Englisch.
Er hat regelmäßig in der Augsburger Literaturzeitschrift
"Gegenwind" publiziert, die in 30 Ausgaben bis 2014 erschien.
Lyrik und Prosa sind ihm mindestens so wichtig
wie die Beschäftigung mit Brecht, davon zeugen mehrere
eigenständige Buchveröffentlichungen.
Entdeckungen im Bereich Brecht und Augsburg können
durch Bekanntschaften entstehen - Karl Greisinger
kennt viele kulturinteressierte Leute. Oder durch Lesefunde
- seine Bücherregale sind prall gefüllt. Ein früher Lesefund liegt ihm besonders am Herzen (und wie so
viele Ältere ärgert er sich heute, nicht rechtzeitig bei einschlägigen
Personen, die er kannte, nachgefragt zu haben,
solange sie noch lebten). Es geht um den Journalisten
und produktiven Schriftsteller Alfred Mühr, der stark
NS-belastet war und nach dem Krieg zurückgezogen in
Zusmarshausen lebte. Er hatte 1977 die Anekdote publiziert,
Brecht habe nach dem Zweiten Weltkrieg zusammen
mit ihm ein westdeutsches Tourneetheater gründen
wollen, und darüber hätten sie beide in München und
dann nochmal im Augsburger "Perlachstüberl" gesprochen.
Karl Greisinger stieß bei der Lektüre des Mühr-
Buchs "Deutschland. Deine Söhne" darauf und schrieb
darüber 1998 für die "Augsburger Allgemeine". Die
brachte den Artikel zwar, setzte aber darüber die Überschrift
"September 1950: War er dort oder nicht?".
Greisinger hatte natürlich nachgeschaut, ob das Thema
Mühr in der 1997 veröffentlichten "Brecht Chronik" von
Werner Hecht vorgekommen war. Das war nicht der Fall,
also ließ Greisinger Hecht die Information zukommen.
Seitdem hat er die Genugtuung, dass in den Folgejahren
immer mehr Brecht-Biografen das Thema aufnahmen und
- obwohl sich keine Bestätigung im Brecht-Nachlass oder
von anderen Zeitzeugen fand - mit den Jahren als immer
glaubwürdiger beurteilten, angefangen von Jürgen Hillesheim
in seinem "Augsburger Brecht-Lexikon" (2000, "mit
einer gewissen Vorsicht zu betrachten"), bis zu Hechts
"Kleiner Brecht-Chronik" (2012), in der Brechts Angebot
an Mühr als Faktum notiert wird (S. 178). Erdmut Wizisla
dokumentierte das Mühr-Kapitel in seinen "Begegnungen mit Brecht" (2009), mit der Vorbemerkung: "Mührs Bericht
ist mit äußerster Vorsicht zu behandeln." (S. 294)
Eine wichtige weitere Entdeckung gelang Greisinger mit
der Zuordnung einer Brecht-Grafik von Caspar Neher
zum Gedicht "Herr der Fische" samt ausführlicher Interpretation
(veröffentlicht im "Dreigroschenheft" 4/2011).
Ohne Greisingers Ammersee-Leidenschaft wäre ihm das
sicherlich nicht gelungen. Und in diesem Fall stieß seine
Veröffentlichung sofort auf begeisterte Zustimmung bei
Brechtexperten.
Wertvoll auch die Veröffentlichung zweier unbekannter
Brechtfotos (davon eines aus dem berühmten Atelier
Reßler) und die Entschlüsselung des darauf vermerkten
Namenskürzels "S. B.", verbunden mit der Identifizierung
einer weiblichen Bekanntschaft Brechts aus Lechhausen
1917 (Dreigroschenheft 2/2014).
Hut ab!
Michael Friedrichs, im Mai 2023
Folgt in ca. 2-3 Arbeitstagen