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Die Lust der Interpretation

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Seit geraumer Zeit geht die Fähigkeit zur Analyse, zur Interpretation und zur kritischen Wertung von Kunst und Literatur gegenüber einer ungebrochenen Vorliebe der Lehramtsstudierenden für "produktive" Rezeption zurück. Gelten erstere als graue Theorie, so gilt die Produk\tionsorientierung als allein selig machende Praxis. Ohne Zweifel bereichert diese - gar nicht so - neue Methode die didaktische Disziplin, obwohl sie häufig nichts anderes ist als blauäugiger Dilettantismus. Aber warum sollten Analyse, Interpretation und Kritik nicht lustvolle Handlungen sein? Strukturale Analyse, hermeneutische Interpretation, kritische Wertung und kreative Produktion bedürfen einer neuen kultursemiotischen Balance. Das menschliche Zeichen, ob verbaler oder nonverbaler (visueller etc.) Natur, erlaubt und fordert Spiel und Hypothesenbildung. Im situativen Zeichengebrauch werden aus semantischen Einheiten Werte (Pragmeme), so dass alles Handeln zwangsläufig ethisch konnotiert ist. Unterrichtliches Handeln wird so - meist unreflektiert - Wert(e)erziehung. Aus evolutionsgeschichtlicher Sicht ist die Entstehung von Werten aus Problemlösungen zu denken, die Störungen im tierischen "Funktionskreis" behoben. Werte und Normen erfüllen heute auf höherer Ebene die Funktion instinktgesteuerter Reiz-Reaktions-Automatismen, denen das "Mängelwesen" Mensch entlaufen ist. Die für das Überleben wertvollen Lösungen kristallisieren zu sozialen Normen, die dann wieder gebrochen werden müssen, wenn ihre Ursprungskrise nicht mehr existiert. Die Funktion-Wert-Norm-Trias bedarf eines fortwährenden Recyclings in Erziehung und Unterricht. Bis zu einer allfälligen Curriculumsrevision ist derzeit allein ein fächerübergreifender Deutschunterricht in der Lage einen neuen Bildungsbegriff anzudenken. Dieser hat die kulturelle Einheit Europas gegenüber allen ideologischen Zerreißproben zu behaupten und den in der antiken Hermeneutik und Ethik angelegten Aufklärungsprozess in die Gegenwart zu übermitteln. Das Verhältnis von Historizität und Aktualität, von Kanon und Avantgarde, Modernismus und Primitivismus ist von Fall zu Fall hinsichtlich seiner Bildungsrelevanz zu überprüfen. Transkulturelle Kommunikation überwindet nicht nur die Tabus fremdkultureller Diskurse, Religionen inklusive, sondern sichtet auch intrakulturelle Grenzen neu, z. B. zwischen auratischer Kunst und funktionaler Gebrauchskunst (Technik, Werbung, Mode etc.). Damit ist nicht nur eine umfassende Lehrerbildung gefordert, die an den Hochschulen meist schlecht bedient wird, die Herausforderung gilt auch für Schülerinnen und Schüler, die sich nur allzu gern von Waren\ästhetik und Konsumkultur vermarkten lassen und die Regeln der "rites de passage" verkennen. Die neue kulturelle Kompetenz bildet sich in der Auseinandersetzung mit Epochen wie Antike, Mittelalter und Moderne, kanonisierten Künstlern und Autoren wie Sophokles, Lessing, Heine, Fontane, Picasso, Carl Einstein u. a., aber auch weniger bekannten Erfindern, Designern und Kreativen der Jugendmedien, der Werbung, des Popsongs, des Comics, des Entertainments.
Folgt in ca. 2-3 Arbeitstagen

Preis

28,90 CHF