Die Gebärhaltung der Frau
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Liselotte Kuntner hat 1985 eine Publikation vorgelegt, die als Standardwerk zur Gebärhaltung der Frau gilt. 1994 erschien das Buch bereits in der 4. Auflage und es ist nach wie vor so aktuell, dass es nun - nach fast vier Jahrzehnten
- in der 5. Auflage vorliegt. Es thematisiert Schwangerschaft und Geburt aus historischer, ethnologischer und medizinischer Sicht mit dem Fokus auf den unterschiedlichen Gebärpositionen, die Frauen unter der Geburt einnehmen.
Gegenwärtig gebären in europäischen Krankenhäusern rund 75 Prozent der Schwangeren in der statischen Liegeposition auf dem Kreißsaalbett. Dazu kommt, dass ca. 60 Prozent der Gebärenden eine PDA gelegt wird, was zusätzliche Passivität zur Folge hat. In der außerklinischen Geburtshilfe dagegen - die beispielsweise in Deutschland allerdings nur von etwa drei Prozent aller Schwangeren bevorzugt wird - begeben sich nur wenige Frauen in die liegende Position, da sie die vertikale Geburtshaltung als wohltuend erleben und im Stehen, Hocken, Knien oder im Vierfüßlerstand ihr Kind zur Welt bringen. Hebammen wissen aus Erfahrung, dass diese Frauen intuitiv jene natürlichen Gebärstellungen einnehmen, die einen günstigen Einfluss auf die Geburtsparameter haben. Durch die Bewegungsfreiheit der werdenden Mutter kann sie ihre
Muskulatur optimal einsetzen, was im Zusammenhang mit der Schwerkraft den Geburtsvorgang beschleunigt, ohne dabei mehr Schmerzen zu verursachen. Ferner führt die aufrechte Haltung zu einer stärkeren Durchblutung der Gebärmutter und damit zu einer besseren Sauerstoffversorgung des Kindes. Auch Dammschnitte kommen in vertikaler Geburtsposition wesentlich seltener vor als bei Geburten im Liegen. Vor diesem Hintergrund empfiehlt auch die WHO: "Die Gebärenden sollten während der Wehen und der Entbindung nicht in die Rückenlage gebracht werden. Vielmehr sollten sie
ermutigt werden, während der Wehen umherzugehen, und jede Frau muss frei entscheiden können, welche Stellung sie während der Entbindung einnehmen will."
Im Krankenhaus dagegen wird diese Empfehlung nur selten befolgt, vielmehr ist es für den reibungslosen Ablauf des Klinikbetriebes praktischer, die Schwangeren in , Arbeitshöhe' - ähnlich wie im OP - vor sich zu haben, was für die beteiligten Helfer:innen bequemer und noch dazu effizienter ist, da auf diese Weise mehrere Geburten gleichzeitig betreut werden können.
Es ist ein höchst bemerkenswertes Phänomen, dass sich seit den 1980er Jahren, als Liselotte Kuntner ihre Forschungsergebnisse vorgelegt und auf die oben beschriebenen Zusammenhänge hingewiesen hat, auf diesem Gebiet
wenig Veränderungen vollzogen haben. Ganz im Gegenteil scheinen sich die Entbindungsmethoden, die die Frauen durch die zunehmende Medikalisierung der Geburt ans Bett fesseln, neuerdings auch in anderen Kulturen zu verbreiten, so dass weltweit Wissensbestände verloren zu gehen drohen, die von der Autorin bereits seit der Antike verortet und bis in die Volksmedizin des 19./20. Jahrhunderts hinein nachgewiesen werden konnten.
Mit zahlreichen Abbildungen gebärender Frauen aus unterschiedlichen Zeiten und Ethnien weltweit untermauert Liselotte Kuntner die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur vertikalen Geburtsposition und legt überzeugend den Zusammenhang der Körperstellungen in den unterschiedlichen Phasen der Geburt auf das Wohlbefinden von Mutter und Kind dar.
Vor diesem Hintergrund ist das vorliegende Buch aktueller denn je, zeigt es doch, dass der Akt des Gebärens nicht nur ein medizinisches, sondern vor allem ein kulturelles Phänomen darstellt und dass man Schwangere nicht zur Passivität ermuntern sollte, etwa aus klinischen Praktikabilitätsüberlegungen, sondern ihnen vielmehr die Freiheit einräumen muss, genau jene Geburtspositionen einzunehmen, die ihnen adäquat erscheinen und in der sie sich wohlfühlen.
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