Die Erziehung zum Wegsehen
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Modern die Mittel, reaktionär die Ziele - diese These ist in der Faschismusforschung sicher nicht neu. Die Steuerung der individuellen Erinnerung durch die Vorgabe von Motiven und Medien mußte ein modern handelndes, politisch reaktionäres Regime wie das des NS-Staates (und vieler anderer Diktaturen) ungemein reizen. Den langfristigen Erhalt des Staatswesens zu unterstützen, konnte dem NS-Staat nur an einer positiven Erinnerungsproduktion gelegen sein. Welches Medium hätte sich dazu besser geeignet als die Photographie? Und nicht die großen Bildleistungen der Professionellen, Künstler und Bildjournalisten sind für den Staatserhalt von primärer Bedeutung, sondern die simple einfache Knipserei einer jeden Person, die einen Photoapparat gerade halten kann. Dem NS-Regime war eine große Zahl anonym produzierter und sich anonym reproduzierender Bilder von alltäglichen und familiären Ereignissen wichtiger als seine eigene Darstellung in Bildjournalismus, Druckwerk und Dokumentar-(Wochenschau-)Film.
In diesem Buch wird erstmalig der Versuch unternommen, eine umfassende Geschichte der Photographie im NS-Staat vorzustellen, die Organisationsgeschichte eines Mediums und seines Gebrauchs wie seines Mißbrauchs zur Durchsetzung staatlicher wie ideologischer Ziele des deutschen Nationalsozialismus. Zur Vorgeschichte dieses Umgangs mit dem technischen Bildmittel Photographie gehört dessen Sozialgeschichte mit der Aufspaltung der Profession in Handwerk und Bildjournalismus einerseits sowie einer industriell geförderten Amateurphotographie zur Vorbereitung einer breiten Kriegspropaganda andererseits. Diesem Bereich ist ein großes Kapitel gewidmet. Rassismus, Verfolgung und Widerstand gab es auf vielen Berufsfeldern im NS-Staat, also auch in der Photographie, deren Rolle im Zweiten Weltkrieg ausführlich beleuchtet wird. Unterschiedliche Formen der Kontinuität des Gebrauchs von Photographie, aber auch der Karrieren von Photographinnen und Photographen werden bis in die Bundesrepublik und das wiedervereinigte Deutschland hinein aufgezeigt.
Nicht zuletzt sind die ausgewählten (Propaganda-)Dokumente und die biographischen Daten zu den Photographen wertvolle Bestandteile der Publikation.
Rolf Sachsse, geboren 1949 in Bonn, Ausbildung als Photograph, Studium Kunstgeschichte, Kommunikationsforschung und Literaturwissenschaften, Promotion. Professor für Photographie und elektronische Bildmedien am FB Design der FHN in Krefeld, assoziierter Professor im Bereich Kunstwissenschaft und Medientheorie an der HfG Karlsruhe.
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