Deus Passus
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Für das Europäische Musikfest Stuttgart 2000 beauftragte die Internationale Bachakademie Stuttgart
vier Komponisten aus vier Kulturkreisen, je eine Passionsmusik nach einem der vier biblischen
Evangelienberichte zu schreiben. Wolfgang Rihm wählte den Text des Lukas-Evangeliums. Dieser,
betonte Rihm vorab in einem Gespräch mit Jürgen Kanold, sei am wenigsten antisemitisch gefärbt: "Die
anderen Evangelien ... wären für mich, als deutscher Komponist, niemals gestaltbar gewesen."
Rihms Komposition ist jedoch keine "Lukas-Passion" im Sinne einer bloßen Vertonung des Evangeliums.
Rihm nennt sein Werk im Untertitel "Passions-Stücke" und wählt eine individuelle Perspektive. Er
konzentriert seine Sicht auf den leidenden Gott und darüber hinaus auf eine Wirkungsgeschichte des
christlichen Glaubens, die das Leiden in der Welt, insbesondere im Blick auf das 20. Jahrhundert,
keineswegs verhindert hat. "Der leidende Gott, der Gott, der gelitten hat, ist für mich die zentrale
Figur christlichen Denkens. In ihm unterscheidet sich christliches Denken von anderen
Religions-Entwürfen. Die Passion ist der Ort dieses Leidens. Von dort muß aber auch das Leiden, das
im Namen des christlichen Gottes in die Welt gedrängt wurde/wird, sich in die Verantwortung nehmen
lassen."
DEUS PASSUS ist mit dem Passionsbericht jedoch nicht zuende. Nur zu ahnen ist die Verwunderung der
Frauen, die morgens früh zum Grab gehen und den Leichnam Jesu nicht auffinden (Nr. 26). Was im
Evangelium in den Auferstehungsbericht und damit in den zentralen Punkt christlichen Glaubens
mündet, gerät in Wolfgang Rihms "Passions-Stücken" jedoch in Konfrontation mit der gegenwärtigen
Welt. "Schluß-Stück von Deus Passus ist eine Vertonung des Gedichtes , Tenebrae' von Paul Celan.
Wiederum eine Ent-Individualisierung, denn Celan spricht in dieser aus Anklage und Verzweiflung
geborenen, so aufrührerischen wie demütigen Anrufung, in diesem , Gegen-Gebet', wie man es nennen
möchte, nur in der ersten Person Mehrzahl. Die Wahl jedoch dieses Gedichtes weist tiefer: Sie holt
das Passionsgeschehen aus der Abgehobenheit der , heiligen' Texte herein in die Gegenwart, ist
indessen nicht wohlfeile Aktualisierung, sondern eine verstört-verstörende Gleichsetzung des , Homo
Passus' mit dem , Deus Passus' vor dem Hintergrund der millionenfachen Passion des Holocaust, sie
ordnet dem christlichen Bekenntnis mit der Gestalt Paul Celans, des sicherlich größten Dichters
deutscher Sprache in der vergangenen Jahrhunderthälfte, auch das jüdische Element zu, gibt also dem
Gesamtwerk in einem die gewöhnliche Bedeutung dieses Wortes transzendierenden Sinn eine
, ökumenische' Dimension" (Josef Häusler, S. 83*).
Und Wolfgang Rihm selbst bemerkt: "Das Blut der Einsetzungsformel (mit der das Werk beginnt)
, begegnet' also dem Blut geschlachteter Menschlichkeit. Der Versuch, derartiger Unaussprechlichkeit
gestalterisch sich zu stellen, mag das ganze Werk kennzeichnen, dessen Grundzug Zurückhaltung sein
könnte.
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