Der Klassenrundbrief
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Der Leser dieses Buches wird sich vielleicht dieselbe Frage stellen, wie sie die Herausgeberin an mich gerichtet hat: "Wie ist es zu erklaren, daB eine Schulklasse tiber 60 Jahre lang einen so starken Zusammenhalt bewahrt hat, wie er in diesem Rundbrief zum Aus druck kommt?" Beim Nachdenken damber fiel mir ein, wie die Klassengemeinschaft der Id an der Altstadter Hoheren Madchen schule in Dresden zusammenkam. 1m vorletzten Schuljahr wurden die Parallelklassen in verschiedene Richtungen aufgeteilt: Es gab die sprachliche, die naturwissenschaftliche, die allgemeine und die ktinstlerischeAbteilung. Wir kamenin der kilnstlerischenAbteilung zusammen, und hier hatte der Unterricht in musischen Fachern ein besonderes Gewicht. Unsere Kunstlehrerin Magdalene Abendroth und unser Musiklehrer Artur Liebscher waren beide kilnstlerische N aturen, und so war jede einzelne Stunde interessant und wurde von uns Schi. ilerinnen mit Spannung erwartet. Eine besondere Bedeutung hatte filr uns unser Klassenlehrer Her bert Lichtenauer, dessen Andenken wir dieses Buch widmen. Er hat uns gewiB mehr gepragt als unsere Elternhauser. Nach vier Jahren als Soldat im Ersten Weltkrieg begann er seine Laufbahn als Stu dienrat. Er war noch nicht dreiBig Jahre alt, als er unsere Klasse a1s Deutsch-und Geschichtslehrer ilbernahm. Neue padagogische Ideen, die damals -in den zwanziger lahren -aufkamen, versuchte er zu verwirklichen. So durften wir anoyme Fragezettel auf sein Pult legen, die oft zu sehr personlichen, yom bloB en Wissensstoff abwei chenden Diskussionen filhrten. Ihm schwebte ein Lehrer-Schi. iler VerhaItnis frei von Autoritat vor, das in der damaligen Zeit unge wohnlich war.
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