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Günther Anders' im deutschsprachigen Raum weitgehend in Vergessenheit geratener Essay "Der Emigrant" ist mit Blick auf gegenwärtige gesellschaftliche Debatten zu Migration und Flucht hochaktuell. Er enthält die ebenso eindrücklichen persönlichen wie philosophisch ergiebigen Schilderungen der Erfahrungen, die Anders während der 1930er und 1940er Jahre als Geflüchteter gemacht hat.
Im Mittelpunkt von Anders' Ausführungen findet sich der Gedanke, dass Zwangsmigration nicht nur mit vielfältigen (über-)lebenspraktischen Schwierigkeiten verbunden ist, sondern auch das Selbstverständnis Betroffener vor Herausforderungen besonderer Art stellt. Unter dem Eindruck des existentiellen Verlusts des sozio-kulturellen Herkunftsrahmens und eines gelebten heimatlichen Beziehungsgeflechts lässt sich migrantische Identität ab einem gewissen Moment nicht länger als zusammenhängend begreifen. Zutiefst destabilisierende Effekte ergeben sich nach Anders zum einen aus der Fremdheit gegenüber aufnehmenden Gesellschaften bzw. der Unmöglichkeit, tatsächlich "anzukommen", sie stellen sich zum anderen jedoch auch aufgrund einer zunehmenden Entfremdung von der eigenen Herkunft ein. In diesem Zusammenhang thematisiert Anders etwa, wie ihm die Muttersprache schleichend entgleitet, während er in Fremdsprachen auf vorgestanzte Floskeln angewiesen bleibt - eine Tatsache, die ihn zunehmend zu einem "Stammeldasein" verurteilt. Anders' Schilderungen und Reflexionen lassen den spezifischen Horizont migrantischer (Verlust-)Erfahrungen in einer Weise aufscheinen, die mit einem leider allzu verbreiteten Ressentiment aufräumt: dass Geflüchtete "Migrationsgewinnler" seien, welche ihre Herkunftsländer leichthin verlassen, um von den sozial- und wohlfahrtsstaatlichen Systemen wohlhabender westlicher Staaten zu profitieren.
Erscheint im Oktober