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Das Theater und die Pest

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1938 erschien Artauds Buch »Le théâtre et son double« [»Das Theater und sein Double«] bei Gallimard. Die erste veröffentlichte Sammlung seiner Schriften zum Theater beeinflussten weltweit eine ganze Generation von Theatermachern seit den 1960er Jahren und wirken bis heute. Ein wirkliches Theatererlebnis stört die Ruhe der Sinne auf, setzt das komprimierte Unbewusste frei und treibt zu einer virtuellen Revolte. Für Artaud war Theater das Äquivalent für das, was in archaischen Gesellschaften Ritus, Kult, Schamanismus, Magie oder Feste waren. Artaud hatte versucht, die antike Tragödie neu zu beleben, er wusste noch nicht, dass seine Ideen eines entliterarisierten Theaters zu Kunstformen wie Aktionismus, Performance und Fluxus führen würden. »Die Pest benutzt schlummernde Bilder, eine latent vorhandene Unordnung und treibt sie plötzlich bis zu den äußersten Gebärden, und auch das Theater benutzt Gebärden und treibt sie bis zum Äußersten: Wie die Pest stellt es die Kette wieder her zwischen dem, was ist, und dem, was nicht ist, zwischen der dem Möglichen innewohnenden Kraft und dem, was in der verwirklichten Natur existiert. Es findet wieder zu der Vorstellung von Figuren und Typen-Symbolen, die wie plötzlich eintretende Stille, wie Orgelpunkte, Blutstockungen, Säftereizungen, entzündliche Ausbrüche von Bildern in unsern unverhofft erwachten Köpfen wirken, es stellt alle in uns schlummernden Konflikte mitsamt den ihnen innewohnenden Kräften wieder her und verleiht diesen Kräften Namen, die wir als Symbole begrüßen: Und hier nun spielt sich vor unsern Augen ein Kampf von Symbolen ab, die übereinander hergefallen sind in einem unmöglichen Getrampel, denn Theater kann es nur von dem Augenblick an geben, in dem tatsächlich das Unmögliche beginnt und in dem die Poesie, die sich auf der Bühne ereignet, verwirklichte Symbole speist und überhitzt.« Antonin Artaud Anaïs Nin, Aus den Tagebüchern, 1933: »Das französische la peste« klingt sehr viel schrecklicher als das englische the plague, aber keines dieser Worte beschreibt, was Artaud auf dem Katheder der Sorbonne vorführte. Er vergaß seinen Vortrag, das Theater, seine Ideen ... Sein Gesicht war von Angst verzerrt. Man konnte sehen, wie Schweiß sein Haar durchnässte. Seine Augen weiteten sich, seine Muskeln krampften sich zusammen, seine Finger spreizten sich in ersterbender Bewegung. Er ließ uns den vertrocknenden, verdorrenden Gaumen spüren, die Schmerzen, das Fieber, das Feuer in den Eingeweiden. Er spielte seinen eigenen Tod, seine eigene Kreuzigung.« André Breton, Über Antonin Artaud, 1959: »Für die Poesie ist von einem bestimmten Niveau an die geistige Gesundheit des Dichters ganz und gar unerheblich. Ihr höchstes Privileg ist es, dass sich ihr Herrschaftsbereich weit über die von der Vernunft gesetzten Grenzen hinaus erstreckt. Ihr drohen keine anderen Gefahren als die Banalität und allseitige Anerkennung. Seit Rimbaud und Lautréamont wissen wir, dass die schönsten Gesänge oft auch die ungebärdigsten sind. Nervals Aurélia, Hölderlins Wahnsinnsgedichte, van Goghs Gemälde aus seiner Zeit in Arles sind das, was wir innerhalb ihres Werks am höchsten einstufen. Es hat den Anschein, als hätte der >Wahn< diese Künstler, anstatt sie in einen Kerker zu sperren, von allen Fesseln befreit, als wären sie über eine ganz und gar ätherische Brücke blitzartig in Verbindung mit uns getreten.« Jerzy Grotowski über das Theater Antonin Artauds in »Für ein armes Theater«, 1968: »Artaud sprach von der Magie des Theaters, und die Art, wie er es heraufbeschwor, hinterlässt Bilder, die uns auf eine bestimmte Weise berühren. Vielleicht verstehen wir sie nicht ganz, aber wir erkennen ... dass Theater ein Akt ist, der hier und jetzt in den Organismen der Schauspieler ausgeführt wird, vor anderen Menschen, dass die theatralische Wirklichkeit unmittelbar ist, nicht eine Illustration des Lebens, sondern etwas, das nur durch Analogie mit dem Leben verbunden ist, wenn wir all das erkennen, dann fragen wir uns: Hat Artaud nicht genau das gemeint und sonst nichts?« Heiner Müller, 1977: »Artaud, die Sprache der Qual. Auf den Trümmern Europas gelesen, werden seine Texte klassisch sein.«
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