Ach, ich bin des Treibens müde
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Von Friedrich Hölderlin stammt die schönste Definition der Kunstform Gedicht. In "An die Parzen" nennt er es "das Heilige, das am Herzen mir liegt". Prosaischer sieht es Rainer Maria Rilke: "Edle Lyrik ist das beste Heilmittel gegen die nüchterne Unrast jeder Zeit." Rilke hat den Geschwindigkeitsrausch zu Anfang des 20. Jahrhunderts erlebt, der durch die moderne Verkehrstechnik ausgelöst wurde. So ist es folgerichtig, wenn er in einem Gedicht fordert: "Knaben, o werft den Mut / nicht in die Schnelligkeit, / nicht in den Flugversuch. / Alles ist ausgeruht: / Dunkel und Helligkeit, / Blume und Buch."
In früheren Dekaden wurden Schüler im Deutschunterricht mit Gedichten traktiert, gerne auch mit so ausladenden wie der "Glocke" von Friedrich Schiller, weil sie das klassische Bildungsgut in konzentrierter Form verkörpern. Gedichte auswendig zu lernen, war nicht primär eine Übung für das Gedächtnis. Die Gedichte sollten als seelische Stütze, als geistiger Vorrat für das weitere Leben dienen. Überlebende der beiden Weltkriege haben erzählt, wie ihnen eine Handvoll auswendig gelernter Gedichte im Schützengraben oder im Luftschutzkeller Trost und Zuversicht gespendet haben.
Die vorliegende Anthologie richtet sich nicht in erster Linie an Schüler und Lehrer. Die Gedichte sind so ausgewählt, dass sie auch von Menschen verstanden werden, denen die Kunst der Interpretation von der Schule her nicht mehr geläufig ist. Die Deutung der Gedichte konzentriert sich auf die wesentliche Botschaft und den darin auffindbaren biografischen Hintergrund der Dichter. Für mich gilt der Rat von Ulla Hahn, der großen Lyrikerin des 20. Jahrhunderts: "Jedes Gedicht ist die Aufforderung an den Leser: Lies dich selbst! Gedichte sind poetische Verwandte des Orakels von Delphi: Erkenne dich selbst!
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